Aktivrente: Steuerbonus fürs Weiterarbeiten – Chance oder teures Risiko?

Stellen wir uns drei Menschen vor:
Eine Pflegekraft Anfang 60, die Rückenprobleme hat und die Tage bis zur Rente zählt.
Ein Ingenieur, der seinen Beruf liebt und gern noch ein paar Jahre weitermacht.
Ein Verkäufer, der mit Ach und Krach bis zur Regelaltersgrenze durchhält.

Für sie alle wirbt die Bundesregierung nun mit der Aktivrente: Wer im Rentenalter weiterarbeitet, soll bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdienen können. Das klingt nach Anerkennung von Lebensleistung – und nach einem fairen Angebot in Zeiten des Fachkräftemangels.

Doch die Zahlen und Regelungen zeigen: Die Aktivrente ist weit mehr als ein freundliches Extra für ältere Beschäftigte. Sie ist ein politisches Signal, ein teurer Steuerbonus – und sie birgt deutliche soziale Schieflagen.



Was ist die Aktivrente genau?

Die Aktivrente ist keine neue Rentenart, sondern ein Steuerbonus für Menschen im Rentenalter, die weiter arbeiten. Wer die gesetzliche Regelaltersgrenze erreicht hat und in einem sozialversicherungspflichtigen Job bleibt, soll künftig einen Teil seines Lohns steuerfrei bekommen – zusätzlich zur regulären Rente.

Wichtige Punkte:

  • Die gesetzliche Rente selbst steigt durch die Aktivrente nicht.
  • Der Bonus betrifft nur Einkünfte aus Arbeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze.
  • Das Modell ist freiwillig: Niemand wird rechtlich gezwungen, länger zu arbeiten.

Die Bundesregierung verkauft das als „Anreiz fürs Weiterarbeiten“. Kritiker sehen darin eher ein Signal für eine schleichende Verlängerung der Lebensarbeitszeit – ohne echte Verbesserung der Arbeitsbedingungen.


Die Pläne der Bundesregierung im Überblick

Die aktuellen Pläne basieren auf einem Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett im Herbst 2025 beschlossen hat. Die wichtigsten Eckdaten:

Zeitplan und Zielgruppe

  • Geplantes Inkrafttreten: 1. Januar 2026
  • Geltungsbereich: Menschen, die
  • die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung erreicht haben,
  • eine gesetzliche Rente beziehen und
  • weiter sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.

Damit richtet sich die Aktivrente gezielt an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rentenalter – nicht an alle, die irgendeine Form von Alterseinkommen beziehen.

Höhe des Steuerfreibetrags

  • Bis zu 2.000 Euro brutto pro Monat an Erwerbseinkommen sollen steuerfrei bleiben.
  • Das entspricht 24.000 Euro im Jahr – zusätzlich zum allgemeinen Grundfreibetrag im Einkommensteuerrecht.
  • Der Freibetrag soll direkt im Lohnsteuerabzug berücksichtigt werden. Das bedeutet: mehr Netto schon auf der monatlichen Gehaltsabrechnung, ohne komplizierten Antrag.

Finanzielle Auswirkungen

Nach Berechnungen von Bundesregierung und Bundesfinanzministerium:

  • Mindereinnahmen für Staat und öffentliche Haushalte von rund 900 Millionen Euro im Jahr 2026.
  • Ab 2027 wird mit etwa einer Milliarde Euro Steuerausfällen pro Jahr gerechnet.

Betroffen sind:

  • der Bund,
  • die Länder und
  • die Kommunen, die am Lohnsteueraufkommen beteiligt sind.

Evaluation

Nach rund zwei Jahren ist eine Evaluation vorgesehen. Dann soll geprüft werden:

  • Wie viele Menschen nutzen die Aktivrente?
  • Wie hoch sind die tatsächlichen Kosten?
  • Hat sich die Erwerbsbeteiligung Älterer tatsächlich erhöht?

Erst danach will die Politik entscheiden, ob das Modell fortgeführt, geändert oder zurückgefahren wird.


Wer profitiert – und wer fällt durchs Raster?

Die Aktivrente ist klar zugeschnitten auf Angestellte im Rentenalter. Wer in dieser Konstellation weiterarbeitet, kann profitieren.

Mögliche Gewinner

Typische Profiteure könnten sein:

  • Die Ingenieurin, die mit 67 noch zwei Tage pro Woche im Büro arbeitet.
  • Der Verwaltungsangestellte, der im öffentlichen Dienst über die Regelgrenze hinaus bleibt.
  • Die Fachkraft im Handwerk, die ihrem Betrieb noch ein paar Jahre mit reduziertem Stundenumfang zur Seite steht.

Für diese Gruppen kann der Steuerbonus spürbar sein: weniger Steuer auf das zusätzliche Einkommen, mehr Netto am Monatsende.

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Wer außen vor bleibt

Deutlich schlechter sieht es für andere Gruppen aus:

  • Selbständige und Freiberufler (zum Beispiel viele Ärztinnen, Handwerker mit eigenem Betrieb, Solo-Selbständige)
  • Unternehmerinnen und Unternehmer
  • Landwirtinnen und Landwirte
  • Beamtinnen und Beamte, die eine Pension beziehen

Sie alle sollen den Bonus nicht nutzen können, selbst wenn sie im Ruhestand weiter arbeiten.

Dazu kommt eine Gruppe, die in vielen Debatten kaum vorkommt:

  • Menschen in körperlich sehr belastenden Berufen, die das reguläre Rentenalter überhaupt nur schwer erreichen und gesundheitlich kaum noch weiterarbeiten können.

Kurze Übersicht

GruppeAktivrente nutzbar?Anmerkung
Angestellte nach RegelaltersgrenzeJaSteuerfreier Lohn bis 2.000 €/Monat
Teilzeitkräfte im RentenalterJaWenn sozialversicherungspflichtig
Selbständige / FreiberuflerNeinKein Zugang zum Freibetrag
Beamte mit PensionNeinKritik von Beamtenverbänden
Landwirtinnen / LandwirteEher neinNur bei angestellter Tätigkeit im Alter
Schwer belastete Berufe (Pflege etc.)Theoretisch ja, aber praktisch oft nichtGesundheit als Grenze

Damit ist klar: Die Aktivrente ist ein selektiver Steuerbonus, kein Instrument für alle, die im Alter noch arbeiten oder arbeiten müssen.


Kritikpunkte im Detail

4.1 Soziale Schieflage: Entlastung für die Fitteren

Sozialverbände und Wohlfahrtsorganisationen kritisieren, dass die Aktivrente vor allem diejenigen entlastet, die ohnehin in einer starken Position sind:

  • gut qualifiziert,
  • gesundheitlich vergleichsweise fit,
  • in Berufen mit sicheren Arbeitsplätzen.

Menschen mit langen Jahren in körperlich harten Jobs – Pflege, Bau, Lager, Reinigung – können häufig gar nicht von der Aktivrente profitieren. Sie sind froh, wenn sie überhaupt die Regelaltersgrenze erreichen und in Rente gehen können.

Die Folge:

  • Wer viel leisten konnte und lange gesund bleibt, bekommt einen zusätzlichen Steuerbonus.
  • Wer früh verschlissen ist, leer ausgeht und oft eine kleine Rente hat, bekommt nichts.

So entsteht das Bild eines „Aktivbonus für Bessergestellte“ – sozial schief und schwer zu vermitteln.

4.2 Selbständige, Beamte & Co.: Ausgeschlossen vom Bonus

Die zweite große Kritik: Die Aktivrente bevorzugt eine ganz bestimmte Gruppe – und schließt andere bewusst aus.

  • Selbständige und Freiberufler arbeiten oft deutlich länger als Angestellte, nicht selten bis ins hohe Alter. Der Steuerbonus bleibt ihnen verwehrt.
  • Beamte mit Pension, die zum Beispiel im Bildungssystem oder in Verwaltungen weiterhelfen, werden ebenfalls nicht einbezogen.
  • Berufsverbände und Juristinnen sprechen von einer Ungleichbehandlung ohne zwingende sachliche Gründe.

Ganz praktisch heißt das:
Ein angestellter Ingenieur im Rentenalter bekommt bis zu 2.000 Euro Lohn steuerfrei.
Seine freiberufliche Kollegin im selben Alter, die aus finanziellen Gründen weiter arbeitet, geht leer aus.

4.3 Milliardenkosten und unklare Wirkung

Der nächste Kritikpunkt sind die Kosten – und die Frage, was die Gesellschaft dafür bekommt.

  • Rund 900 Millionen Euro Mindereinnahmen im ersten Jahr, danach etwa eine Milliarde Euro jährlich.
  • Diese Mittel fehlen in Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen – etwa bei Investitionen in Bildung, Pflege, Infrastruktur oder kommunale Angebote.

Wirtschaftsforschungsinstitute weisen darauf hin, dass ein erheblicher Teil der Aktivrente aus Mitnahmeeffekten bestehen dürfte:

  • Viele Ältere hätten auch ohne Steuerbonus weiter gearbeitet.
  • Für diese Fälle zahlt der Staat nun zusätzlich, ohne dass wirklich mehr gearbeitet wird.

Ob die Aktivrente tatsächlich deutlich mehr Menschen ins Erwerbsleben im Alter bringt, ist bisher nicht belastbar belegt. Die Wirkung bleibt eine offene Baustelle.

4.4 Rechtliche Risiken: Gleichheitsgrundsatz im Fokus

Juristinnen und Juristen richten den Blick auf den Artikel 3 des Grundgesetzes: den allgemeinen Gleichheitssatz.

Die Fragen:

  • Darf der Staat Angestellte im Rentenalter steuerlich stark begünstigen, während Selbständige und Beamte in vergleichbarer Lage leer ausgehen?
  • Ist es gerechtfertigt, ältere Erwerbstätige anders zu behandeln als jüngere, die keinen vergleichbaren Freibetrag haben?

Gutachten sehen die Aktivrente zwar teilweise noch im verfassungsrechtlichen Rahmen, machen aber deutlich: Die Grenze zur verfassungswidrigen Ungleichbehandlung ist nicht weit entfernt. Verbände kündigen bereits an, mögliche Klagen zu prüfen.
Diese Verfahren sind Stand heute noch nicht anhängig; eine endgültige Bewertung ist daher noch nicht möglich.

4.5 Kein wirksames Mittel gegen Altersarmut

Altersarmut trifft vor allem Menschen, die:

  • viele Jahre in Niedriglohnjobs gearbeitet haben,
  • längere Phasen von Arbeitslosigkeit hatten,
  • Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt und dadurch weniger Beiträge gezahlt haben,
  • wegen Krankheit nicht bis zur Regelaltersgrenze arbeiten konnten.

Genau diese Gruppen können oft nicht einfach ein paar Jahre dranhängen, um von einem Steuerbonus zu profitieren.

Sozialverbände weisen deshalb zu Recht darauf hin:

  • Die Aktivrente verbessert die Lage derjenigen, denen es ohnehin relativ gut geht.
  • Sie ist kein zielgenaues Instrument im Kampf gegen Altersarmut.
  • Im ungünstigsten Fall verstärkt sie sogar das Gefühl, abgehängt zu sein.

Was sagen Befürworterinnen und Befürworter?

Befürworter aus Regierung, Wirtschaft und Teilen der Opposition führen einige Argumente ins Feld:

  • Anerkennung der Lebensleistung: Wer Jahrzehnte gearbeitet hat und freiwillig weitermacht, soll dafür belohnt werden.
  • Erfahrung im Betrieb halten: Ältere Fachkräfte bringen Wissen, Routine und Stabilität – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels.
  • Mehr Netto im Alter: Der Steuerbonus kann das Weiterarbeiten attraktiver machen, vor allem bei mittleren Einkommen.

Wirtschaftsnahe Stimmen betonen, dass die Aktivrente ein Baustein im Kampf gegen den Fachkräftemangel ist. Sie sagen aber auch: Ohne bessere Arbeitsbedingungen, Gesundheitsprävention und Weiterbildung älterer Beschäftigter bleibt der Effekt begrenzt.


Was bedeutet die Aktivrente für Regionen wie das Artland?

Über die Bundespolitik hinaus stellt sich die Frage: Was kommt in den Regionen an? Zum Beispiel im ländlich geprägten Artland mit vielen kleinen Betrieben, Handwerkern, Dienstleistern und Pflegeeinrichtungen.

Mögliche Szenarien:

  • Handwerk und Industrie: Betriebe könnten erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein paar Jahre länger halten. Der Bonus kann helfen, flexible Teilzeitmodelle zu vereinbaren – etwa drei Tage im Betrieb, zwei Tage frei.
  • Pflege und Betreuung: Hier ist der Bedarf an Personal besonders hoch. Gleichzeitig sind die Jobs körperlich hart. Viele Beschäftigte werden die Aktivrente gesundheitlich gar nicht nutzen können.
  • Kommunale Haushalte: Städte und Gemeinden profitieren zwar indirekt, wenn Fachkräfte länger im Beruf bleiben. Gleichzeitig fehlen ihnen durch die Steuerausfälle Einnahmen für Investitionen vor Ort – von der Kita bis zur Straße.

Gerade in strukturschwächeren Regionen bleibt daher ein zwiespältiger Eindruck:
Die Aktivrente kann punktuell helfen, verschiebt aber vor allem Lasten – und ersetzt keine umfassende Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.


Fazit: Steuerbonus mit vielen Nebenwirkungen

Die Aktivrente ist ein politischer Hingucker: „2.000 Euro steuerfrei im Monat“ – das klingt nach einer einfachen und gerechten Lösung für viele Probleme auf einmal.

Der kritische Blick zeigt jedoch:

  • Die Aktivrente bevorzugt fittere und besser gestellte Gruppen.
  • Sie schließt ganze Berufsgruppen aus, obwohl diese oft ebenso lange gearbeitet haben.
  • Sie kostet den Staat bis zu eine Milliarde Euro pro Jahr, ohne dass klar belegt ist, wie stark sie die Erwerbsbeteiligung Älterer tatsächlich erhöht.
  • Sie sendet ein Signal in Richtung längerer Lebensarbeitszeit, ohne die oft harten Arbeitsbedingungen grundlegend zu verbessern.
  • Sie ist kein wirksames Instrument gegen Altersarmut.

Ob das Gesetz in der geplanten Form zum 1. Januar 2026 in Kraft tritt oder im parlamentarischen Verfahren noch verändert wird, ist Stand heute offen. Klar ist schon jetzt: Die Diskussion über Gerechtigkeit im Alter, Steuergerechtigkeit und Arbeiten im Alter wird mit der Aktivrente nicht leiser, sondern lauter werden.

Für jede und jeden Einzelnen bleibt die Frage:
Ist die Aktivrente ein persönlicher Vorteil – oder vor allem ein politisches Signal, dass Arbeit im Alter zur neuen Norm werden soll?


FAQ: Häufige Fragen zur Aktivrente

1. Ab wann soll die Aktivrente gelten?

Nach aktuellem Stand soll die Aktivrente zum 1. Januar 2026 in Kraft treten. Der Gesetzentwurf befindet sich noch im parlamentarischen Verfahren und kann sich in Details ändern.

2. Wie hoch ist der Steuerbonus?

Bis zu 2.000 Euro brutto pro Monat (24.000 Euro pro Jahr) an Erwerbseinkommen im Rentenalter sollen steuerfrei bleiben. Der Bonus kommt zusätzlich zum allgemeinen Grundfreibetrag.

3. Gilt die Aktivrente automatisch?

Ja. Der Freibetrag soll direkt beim Lohnsteuerabzug berücksichtigt werden. Wer die Voraussetzungen erfüllt, bekommt mehr Netto auf der Gehaltsabrechnung, ohne selbst einen besonderen Antrag stellen zu müssen.

4. Wer kann die Aktivrente nutzen?

Nur Personen, die:

  • die Regelaltersgrenze erreicht haben,
  • eine gesetzliche Rente beziehen und
  • sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.

Minijobs und andere Konstellationen hängen von der endgültigen Ausgestaltung des Gesetzes ab. Hier sind noch Detailfragen offen.

5. Können Selbständige oder Freiberufler profitieren?

Nein. Nach derzeitigem Planungsstand nicht. Selbständige, Freiberufler, Landwirte und Unternehmerinnen sind vom Aktivrenten-Bonus ausgeschlossen, auch wenn sie im Alter weiter arbeiten.

6. Gilt die Aktivrente für Beamtinnen und Beamte?

Auch Beamtinnen und Beamte mit Pension sind bislang nicht einbezogen. Sie können den Steuerbonus nicht nutzen, selbst wenn sie nach dem Ruhestand weiter beruflich aktiv sind.

7. Hilft die Aktivrente gegen Altersarmut?

Eher nicht. Menschen mit geringen Renten können häufig aus gesundheitlichen oder biografischen Gründen nicht länger arbeiten. Genau sie profitieren vom Steuerbonus kaum oder gar nicht.

8. Wie viele Menschen könnten profitieren?

Schätzungen der Politik gehen von rund mehreren hunderttausend potenziell Berechtigten aus. Wie viele die Aktivrente tatsächlich nutzen werden, kann erst nach Einführung seriös bewertet werden.

9. Kann die Aktivrente noch geändert werden?

Ja. Solange das Gesetzgebungsverfahren läuft, sind Änderungen möglich. Außerdem ist nach etwa zwei Jahren eine Evaluation vorgesehen. Auf dieser Grundlage kann der Gesetzgeber nachbessern oder den Bonus auch wieder einschränken.

10. Wo erhalte ich verlässliche Informationen?

Seriöse Informationen bieten:

  • Offizielle Seiten von Bundesregierung und Bundesfinanzministerium,
  • die Deutsche Rentenversicherung,
  • Berichte überregionale Medien und
  • Stellungnahmen von Sozialverbänden und wissenschaftlichen Instituten.

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